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#Stöbersonntag: Interview mit Keizumi

Seit über 15 Jahren erfreut sich die Manga-Industrie auch in unserem Lande einer unaufhörlichen Beliebtheit. Wo die allererste Veröffentlichung der 2. Weltkriegsgeschichte Barfuß durch Hiroshima (Keiji Nakazawa) durch den Rowohlt-Verlag zunächst ein Flopp und weitere Publikationen nur müßig voranschritten (1991: AKIRA, Carlsen Comics; 1994: Appleseed, Egmont Manga; 1996: Battleangel Alita, Carlsen Comics), wurde es um die 2000-Wende bunter und lauter: Serien wie Sailor Moon, Dragon Ball und Pokémon waren nicht zuletzt durch deren Zeichentrickumsetzungen in aller Munde.

Mit dem amerikanischen Verlag Tokyopop, welcher sich 2004 auch in Deutschland niederließ, wurde das Angebot noch mehr vergrößert.

 

Für jeden Geschmack ist etwas dabei: Hexen, Schulgeschichten, Horrorstorys, Sport, Erotik, ...

Obwohl Manga einen besseren Ruf als zu ihrer unbekannten Startzeit genießen, werden sie oft immer noch für Kinderkram gehalten. Die Szene, in der man sich bewegt, ist aber weit von Kindern entfernt:

 

Neben Jugendlichen sind auch eine Menge junger Erwachsener dabei und nicht selten entdeckt man heute über 40jährige, die Fantasy-Spiele im japanischen Stil auf ihrem Handy zocken.

Des weiteren hat sich auch in Deutschland ein Markt an Hobby- und Verlagszeichnern etabliert, welche Manga in publizieren.

 

 

Eine von ihnen ist Jelena Wagner, in der Szene bekannt als Keizumi, mit Sitz in Oberfranken. Sie selbst ist aktiv dabei, wenn es um das Verwirklichen ihrer Träumen geht, ist regelmäßig auf Conventions als Zeichner anzutreffen und arbeitet an ihrem ersten eigenen Manga. 

 

 

  Anfänge von 2005 (Wedding Peach (c) Yazawa Nao)
Anfänge von 2005 (Wedding Peach (c) Yazawa Nao)

Die beliebteste Frage zuerst: Wie bist du zum Mangazeichnen gekommen?

 

Das war glaub ich damals, als Sailor Moon das erste Mal im Fernsehen lief.

 

Ich war ich vom Zeichenstil so fasziniert, dass ich auch so schöne Bilder zeichnen können wollte. Also hab ich angefangen, Sachen aus der Serie abzuzeichnen und eigene Geschichten dazu zu erfinden.

 

Bis dahin waren mir ja nur russische und amerikanische Cartoons bekannt, die alle auch keine durchgehende Story hatten.

Da haben Animes mich gleich mit der Ästhetik und dem Storytelling auf doppelte Weise beeindruckt. ♥

 

Wie waren Manga in deinem Umkreis angesehen? Ich erinnere mich, dass sich bei uns viele Gleichaltrige lustig machten, aber letzten Endes es irgendwo ganz cool fanden, dass man solche Figuren zeichnen konnte …

 

Die gleiche Erfahrung hab ich auch gemacht. Wenn bei uns in der Grundschule bereits bekannt war, dass man diese „Sailor Moons“ und „Pokemons“ geschaut hatte, war man gleich der Sonderling der Klasse. Es gab teilweise Situationen, wo man deswegen wirklich ausgegrenzt und „beschimpft“ wurde. Bei Zeichnungen haben die meisten dann aber doch irgendwo Respekt gezeigt. Das waren ganz schön komplizierte Zeiten. (ha ha)

 

Du hast nach der Schule Japanologie studiert, warst sogar für einen Austausch dort. Hat dich der Aufenthalt bezüglich des Mangazeichnens beeinflusst?

 

Mehr oder weniger. Ironischerweise war es nämlich so, dass ich während des Studiums eine Zeichenpause einlegen musste, um mich komplett aufs Lernen konzentrieren zu können. Aber ich kann nicht leugnen, dass der Aufenthalt dort mich indirekt beeinflusst hat: Die Kultur ist in mancherlei Hinsicht eben doch ganz anders als hier. Dort ist es ja auch ganz normal, dass überall gezeichnete Figuren zu sehen sind, die für die verschiedensten Produkte werben. Dadurch wurden Manga-Zeichnungen für mich etwas normalisiert, sodass man das Zeichnen im japanischen Stil nicht mehr als etwas „Eigenartiges“ wahrnahm.

 

Hattest du jemals überlegt, ob du etwas anderes als den japanischen Stil in Betracht ziehen solltest?

 

Das ist etwas schwierig zu beantworten, weil ich recht früh mit verschiedenen Stilen in Berührung gekommen bin:

Als Kind hab ich viele Cartoons und Märchenfilme aus Russland und Amerika geschaut. Während meiner Teenagerzeit habe ich dann neben den gängigen 90er Animeserien auch weiterhin gerne einige Cartoonserien geschaut. Ich erinnere mich zwar an eine Präferenz für japanische Sachen, aber deshalb habe ich die amerikanischen Sachen nicht gleich abgeschrieben.

 

Heute ist das etwas anders; durch mein Studium und die Recherchen für die Hausarbeiten und die Bachelorarbeit sind mir die Stil-Unterschiede der Länder viel bewusster – aber ich möchte dennoch weiterhin von allem Lernen, was mich persönlich anspricht.

 

Du hattest in jüngster Vergangenheit Gelegenheit mit anderen Leuten in einer Gruppe an dem Projekt Za-Donk! zu arbeiten. Wie war es für dich, Teil einer Projektgruppe zu sein? Wie habt ihr euch die Aufgaben eingeteilt?

 

Ich möchte gleich zu Anfang schon mal sagen, dass es eine großartige und unglaublich lehrreiche Erfahrung für mich gewesen ist, die ich keinesfalls missen möchte!

 

Ganz zu Anfang des Projektes haben wir uns gleich abgesprochen und die Aufgaben verteilt – das war ein bisschen wie bei einem Animationsstudio. (ha ha)

Wir waren zwar relativ flexibel mit den Rollen, aber im Grunde hatten wir einen festen Storyboarder (Melanie Schober), einen Skizzierer (Blackii), zwei Reinzeichner (Mullana und mich) und zwei zum Rastern (Melanie und Martina Peters).

 

Mit flexibel meine ich, dass man auch mal beim Rastern ausgeholfen hat, wenn’s mal eng wurde. Es war eine sehr herzliche Teamarbeit und man wollte dem anderen immer helfen und ihm die Arbeit abnehmen, damit es einen Ausgleich gab. Jede Deadline gab einem einen Adrenalin-Rush, der uns immer weiter gepusht und auch zusammengeschweißt hat. In dieser Zeit hab ich viel über das Programm CSP (Anm.: Comic Studio Paint, Software für das Comiczeichnen), Komposition, Perspektiven, Kontrast und vor allem über Minimalismus und Zeitmanagement gelernt.

2015 - "Deep Sea Mermaid" Aquarell
2015 - "Deep Sea Mermaid" Aquarell

Du bist auch auf Conventions als Zeichner vertreten. Das ist für viele ein großer Schritt, da man sich publik macht und der Öffentlichkeit aussetzt. Was war für dich der Anlass, das auszuprobieren?

 

Anfangs wollte ich mich unbedingt mit anderen Zeichnern austauschen, vernetzen und mich mit ihnen anfreunden. Aber ich war immer zu schüchtern, Leute einfach auf anzuschreiben und hatte mir naiverweise gedacht, dass das persönlich bestimmt viel einfacher geht als in einer Nachricht. Das versuche ich übrigens heutzutage immer noch, aber meist bin ich immer noch zu schüchtern, um Leute einfach anzusprechen. Im Grunde geh ich nur hin, kaufe was, bedanke mich etwas seltsam und gehe enttäuscht zurück an meinen Platz.

Bevor ich mich aber überhaupt für einen Tisch beworben habe, hatte ich bereits länger an meiner Geschichte Lunar Ticks gearbeitet gehabt. Und mit jeder weiteren Con, die ich mit meinen Freunden besucht hatte, bekam ich selbst immer mehr das Bedürfnis, meine Geschichte zu erzählen und sie unter Leute zu bringen.

 

Magst du mit uns ein besonders schönes Erlebnis nennen?

 

Es gibt wirklich viele wunderbare Momente, die ich nie vergessen werde. ♥

Dazu gehört z.B. jedes Mal, wenn Besucher kommen, die mich noch von der letzten Con kennen. Da ich recht klein bin, ist das für mich immer wieder ein fantastisches Erlebnis.

 

Es gab da aber einen Tag, an dem ich mich ausgiebig mit einer Dame über Copic Kolorierung unterhalten habe. Wir hatten echt Spaß und ich konnte ihr ein paar Tipps mitgeben - am nächsten Tag schaute sie nochmal vorbei und hat mir dann ein Bild geschenkt, bei dem sie die Tipps vom Vortag angewendet hatte; Ich hab mich wahnsinnig geehrt gefühlt. Das Bild habe ich natürlich immer noch. ^_^

 

Aktuell arbeitest du außerdem an deinem eigenen Manga Lunar Ticks.

Anders als in Japan besitzt man in Deutschland zumeist keine Assistenten, die einem Arbeitsschritte abnehmen. Wie organisierst du dir deine Arbeit?

 

Puh, das wird jetzt etwas kompliziert, da ich nicht gerade die organisierteste Person bin und gern abwechselnd arbeite.
Aber ich werde freilich versuchen gescheit zusammenzufassen, was für mich so funktioniert:

 

Wenn die grobe Idee des Inhalts für ein Kapitel feststeht, fasse ich das in Stichpunkten zusammen: nach Bedarf mal analog mit kleinen Zusatzbildchen, mal digital in einer Word-Datei.

 

Ich fertige analog lose Scribbles (Anm.: schnelle Skizzen des Geschehens) der einzelnen Szenen an und halte die wichtigsten Dinge schon mal grob fest (Dialoge, angesprochene Themen, Emotionen, etc.)

 

Danach erfolgt das Paneling (Anm.: Aufteilung einer Comicseite in einzelne Bildrahmen) und die Verteilung der Scribbles in die Panels (Anm.: einzelnes Bild eines Comics), ebenfalls analog. Ich zeichne mir dafür immer drei bis vier Doppelseiten auf eine A4-Seite. Es wird viel hin- und hergeschoben und radiert.

 

Scribbles und die Panel-Aufteilungen werden gescannt, ich erstelle die ersten Dokumentseiten in CSP und füge die einzelnen Scribbles in die Bildrahmen ein.

 

Alle Ressourcen (3D-Modelle von Hintergründen und Gegenständen, sowie Fotos weiterer Referenzen) werden digital in die Seiten eingefügt.

 

Die Charaktere werden skizziert und die Hintergründe wenn nötig bearbeitet. Alle Outlines (Anm.: Umrandungen von einem gezeichneten Objekt) werden daraufhin digital getuscht und die Bilder schließlich gerastert.

 

Es folgen Sprechblasen und Dialoge sowie Sound-Words (Anm.: Geräuschswörter wie Wrum für Motoren).

 

Ich lasse die fertigen Seiten ein paar Tage liegen und gucke noch einmal drüber. Gerne frage ich auch Freunde nach einem Feedback, während ich die nächsten paar Seiten reinzeichne.

 

Das klingt nach viel Arbeit (was es wahrscheinlich auch ist), aber wenn man einen Flow hat, kann man immer einen Schritt für mehrere Seiten am Stück machen. Dann geht das schon. ♥

Arbeitsschritte "Lunar Ticks":  Scribble - Vorzeichnung - fertig getuschte & gerasterte Seite
Arbeitsschritte "Lunar Ticks": Scribble - Vorzeichnung - fertig getuschte & gerasterte Seite

Lunar Ticks ist außerdem ein guter Beweis dafür, dass Manga gewiss nicht nur Kinderthemen beinhalten. In deiner Geschichte geht es um die Yakuza (Anm.: japanische Mafia), Depressionen, Gewalt, Schuldgefühle, aber auch die Suche nach dem Selbst. Wie kamst du auf diese originelle und zugleich düstere Idee?

 

Düsterkeit war wahrscheinlich schon immer ein Teil meiner Geschichten, denn ich hab eine große Schwäche für bittersüße, tragische und ungewöhnliche Geschichten.

 

Ich denke aber, was mich im Kern zu Lunar Ticks gebracht hat, war eine Anhäufung von persönlichen Ereignissen, die mich etwas aufgewühlt haben. Solche Sachen habe ich früher schon versucht, anhand von Bildern zu verarbeiten. Da hat sich das in Form einer Geschichte mehr oder weniger angeboten. Gleichzeitig hatte ich auch das Bedürfnis, Themen anzusprechen, die mir generell am Herzen liegen und die vielleicht noch als Tabu betrachtet werden könnten. Ich wollte mir außerdem alles Gelernte zu Nutze machen, was ich mir während des Studiums über Japan und seine Kultur aneignen konnte.

 

Den Rest kennt man ja auch von anderen: mit der Zeit wächst eine Geschichte mit ihren Charakteren und man möchte das irgendwann auch vollenden.

Das heißt aber nicht, dass die Geschichte von Anfang an das war, wie ich es derzeitig online stelle. Ich musste das mehrfach und teilweise auch radikal umschreiben.

 

Was ist für dich der schwierigste Part bei der Bearbeitung deines Mangas?

Wo siehst du deine größte Herausforderung?

 

Wenn‘s rein ums Zeichnen geht, finde ich Rastern nach wie vor am schwierigsten. Da gibt es auch einen schmalen Grat, ab wann es zu viel ist. Glücklicherweise kann ich, dem Genre entsprechend, viel mit Schwarz arbeiten und gebe mir Mühe, dem Überrastern entgegenzuwirken.

 

Meine persönliche Herausforderung ist jedoch das Storytelling (Anm.: Erzählen einer Geschichte): da finde ich es nach wie vor extrem schwer die Balance zwischen schwerer Kost und Humor zu finden. Wenn eine Geschichte durchweg und endlos schwer zu verdauen ist, macht das Lesen auf Dauer auch keinen Spaß, finde ich. Außerdem kann es u.U. unglaubwürdig rüberkommen, wenn alles furchtbar trist und grau ist. Das will man natürlich auch vermeiden.
Daher versuche ich oft die Stimmung durch die (kindlichen, naiven) Eigenarten einiger Charaktere etwas zu heben. Ich hoffe natürlich, dass mir das auch gelingt und der Leser nicht überanstrengt wird.

2017 - Illustration zu "Lunar Ticks"
2017 - Illustration zu "Lunar Ticks"

Entwicklung ist nicht nur in deinem Werdegang ein Thema, sondern natürlich auch in deinen Arbeiten. Wie bist du gegenüber deinen früheren Projekten eingestellt?

 

Da kommt es stark auf die Zeit an, in der etwas entstanden ist. Als Teenager z.B. neigt man ja oft dazu, Dinge viel dramatischer darzustellen als sie eigentlich sind. Wenn ich beispielsweise an die Sachen aus dieser Zeit zurückdenke, finde ich es ja schon ein bisschen peinlich. Aber ich würde es nicht verstecken wollen. Das gehört ja auf jeden Fall zur eigenen Entwicklung dazu. Manchmal kramt man ja auch alte Sachen raus, lacht darüber und macht vielleicht eine Neuauflage davon, um sich dem eigenen Fortschritt wirklich bewusst zu werden. Ich finde, man entwickelt sich auch schneller, wenn man bereit ist, solche Fehler zu machen und sie im Hinterkopf zu behalten. ♥

 

Was ist für dich das Schwierigste am Illustratoren-Dasein?

Und was ist für dich das Schönste? :-)

 

Zeitmanagement und Organisation mit Perfektionismus zu vereinen ist für mich nach wie vor ein harter Brocken. Es fällt mir oft schwer einzuschätzen, wie lange ich für etwas brauche, weil ich oft noch unsicher bin, ab wann ich meinen Perfektionismus stummschalten kann. Aber wenn man dann etwas geschafft hat, womit der Kunde auch zufrieden ist, fühlt sich das wahnsinnig gut an.

 

Verrate uns doch zum Abschluss noch, wie wohl dein perfekter Tag in 5 Jahren aussieht? (Denn das Wo siehst du dich in 5 Jahren kann ja jeder. :-P)

 

5 Jahre? Puh… da muss ich überlegen.

Bis dahin wäre ich auf jeden Fall gern mit meiner besseren Hälfte verheiratet und hätte gerne mehrere Kapitel meiner Geschichte fertig gezeichnet. Idealerweise habe ich bis dahin auch mehr Erfahrung mit unterschiedlichen Programmen gesammelt. Vielleicht auch schon ein paar Gifs gemacht und kann endlich mal etwas an die Druckereien senden, ohne dass etwas wegen falscher Druckvorstufeneinstellungen zurückkommt. (ha ha)

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