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#Stöbersonntag: Interview mit Buchbinderin Franja Ormhardt

Die Buchbindung ist eine sehr alte Handwerkskunst, welche auf Jahrtausende zurückblicken lässt. In der

heutigen Zeit von Online-Druckereien und Schnellbindeverfahren von Copyshops wird sich aber selten

noch ein Kopf darüber gemacht, wie genau das geht und was für ein herrliches Gefühl es ist, wenn man

sein selbst gebundenes Buch in den Händen halten kann.

Jedes Stück ein Unikat, denn alles ist per Hand gefertigt.

 

Franja ist Buchbinderin. Sie kann selbst auf ein stolzes Stück Geschichte zurückblicken, denn nach der

Ausbildung 2011 und der Meisterschule 2012, hat sie ihre eigene Buchbinderei in Velbert-Langenberg

geführt. Inzwischen arbeitet sie als Dozentin für Buchbinder-Kurse und bietet Buchbinder-Boxen an,

damit auch du ganz einfach dein eigenes Buch binden kannst.


Franja, du schreibst von dir, dass du neben der Buchbinderin auch Geschichtenerzählerin und Bloggerin

bist. Etwas, was natürlich hervorragend zur Buchbinderei passt. Bist du also auch eine richtige Leseratte?

 

Früher mehr als heute. In meiner Jugend hab ich Bücher verschlungen und eine 52 Bücher im Jahr-Instagram-Challenge wäre kein Problem gewesen.

Im Moment fällt es mir allerdings schwer, mir Zeit fürs Lesen zu nehmen. Bevor du fragst, früher war es fast ausschließlich Fantasy, heute sind noch Sachbücher dazugekommen.

 

Sei ehrlich, hast du denn schon einmal nur ein Buch gekauft, weil es dich von seiner Aufmachung her

ansprach?

 

Natürlich. Macht doch jeder. Ganz besonders mag ich die neueren Erscheinungen der Tolkien-Werke mit Illustrationen von von Alan Lee.

 

Buchbinderisch interessante Bücher gibt es seltener und ich hab keins aus einem Laden.

Dafür nehm ich auch mal Bücher mit, die mir optisch gar nicht gefallen.

Wenn die Geschichte mich begeistert, mache ich mir einfach einen anderen Einband drum.

 

 

Illustration für eine Kampagne zu Misslyn Cosmetic

Wann genau hatte dich der Wunsch ergriffen, Buchbinderin zu werden?

 

Das kann ich gar nicht auf einen Moment festlegen. Ich bin relativ spontan aus der Schule raus und brauchte etwas zum Weitermachen. Ich wusste, dass Buchhandel nix für mich ist. Die Vorstellung den ganzen Tag hinter einem Tresen zu stehen und Bücher wie 50 Shades of Grey anzupreisen, hat mir einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Ich hatte schon immer eine Affinität zum Handwerk und wollte Schreiner oder Tischler machen, bevor ich erfahren habe, dass es Buchbindereien überhaupt noch gibt. Nachdem mir das klar war, war die Entscheidung gefallen.

 

Ausbildungsplätze sind rar gesät. Glücklicherweise hattest du aber eine Stelle erhalten und konntest

loslegen. Wie altmodisch war die Lehre denn wirklich?

 

Es war Schicksal, dass ich noch eine Lehrstelle gekriegt habe. Mein Ausbildungsbetrieb hatte sich spontan entschieden, dass sie einen Lehrling wollten. Mein Bewerbungsgespräch hatte ich mitten im Lehrjahr kurz vor Weihnachten und im Februar hab ich dann angefangen. Wir haben uns gesucht und gefunden. Die Ausbildung zum Buchbinder ist, wie in allen handwerklichen Ausbildungen, geprägt von der Mitarbeit im Betrieb. Natürlich lernte ich die Handgriffe, aber es gibt auch viel maschinelle Unterstützung in einer Handwerksbuchbinderei. Ich bin froh, dass wir nicht zu viele Maschinen hatten, weil das konzentrierte Arbeiten mit den Händen genau das ist, was ich bevorzuge und brauche.

 

Wie hast du die Kunden empfunden, für die du gearbeitet hast? Musstest du bzw. damals deine Ausbilder

in ihrem Beruf viel Überzeugungsarbeit leisten oder haben sie sich bewusst/schnell auf diese alte

Handwerkskunst eingelassen anstatt zu einfachen Alternativen wie Klebebindung und Co.?

 

Im Ausbildungsbetrieb haben wird viel für Werbeagenturen gearbeitet, die hochklassige Kundschaft hatten. Daher war hohe Qualität bei vielen Projekten die Mindestanforderung.

Klebebindung lassen sich auch händisch machen (tatsächlich war das meine Aufgabe in der ersten Woche) und sind ein guter Kompromiss zwischen Qualität und Quantität.

Die wirklich hohe Kunst des Buchbindens habe ich im Sommer gelernt, wenn die Auftragslage dünn war. Dann konnte ich mich, nachdem die Werkstatt grundgeputzt war, meinen eigenen Projekten widmen und mein Meister hat mich in die wirklich interessanten Techniken eingeweiht.

 

Von 2013-2016 hast du dann deine eigene Buchbinderei geführt. Was waren die größten Schwierigkeiten

und was waren die schönsten Erlebnisse? Kannst du uns davon je eins nennen?

 

Das schöne Erlebnis war der Moment, wenn der Kunde mit strahlenden Augen sein handgebundenes oder repariertes Buch in Empfang genommen hat. Ich konnte dann immer die Verbundenheit zwischen Mensch und Buch spüren.

 

Die größten Schwierigkeiten war diese Menschen zu finden. Ich bin davon überzeugt, dass es viele Menschen gibt, die mit ihrem Buch tiefe Emotionen verbinden, sei es weil die es selbst geschrieben haben oder weil es ein Erbstück ist. Sie wussten nur nicht von mir. Damals hatte ich noch keine Ahnung von Marketing im Internet und solchen Dingen.

 

Würdest du noch einmal eine Buchbinderei eröffnen oder bist du jetzt an dem Punkt gekommen, wo du

viel lieber das Wissen weitervermitteln und eine neue Generation Buchbinder heranziehen willst?

 

Ich finde nicht, dass das Eine das Andere ausschließt.

Für den Moment arbeite ich daran, Buchbinden als Hobby für normale Leute ins Sichtfeld zu rücken und Anleitungen zu bieten, die dem handwerklichen Standard entsprechen, aber nicht zu schwer sind. Wenn mich jemand mit einem Auftragsprojekt anfragen würde, würde ich nicht Nein sagen, solang es interessant ist.

Was ich mir jedoch nicht vorstellen kann, als letztes Glied in der Nahrungskette für Werbeagenturen zu buckeln oder in den Bereich der Restauration zu gehen.

 

Dein aktuelles Projekt ist die Buchbinder-Box: Mit sorgfältig von dir ausgewählten Materialien, kann der

Käufer – ob Laie oder Hobbyist – mit Hilfe einer Anleitung sein eigenes Buch binden. Was hat dich auf

diese Idee der DIY-Box gebracht?

 

Das größte Problem für den Laienbuchbinder ist an gutes Material zu kommen.

Material bekommst du in riesigen Mengen oder großen Formaten. Das Standardmaß von Papier und Karton ist 70 x 100 cm und Kapitalband gibt’s ab 10 m Länge. Pro Farbe. Dabei brauchst du für ein Buchprojekt, zum Beispiel, ein Stück Papier mit 20 x 30 cm und 0,05 m Kapital. In der Buchbinder-Box ist die Menge an Material auf das Projekt abgestimmt und auf Format zugeschnitten.

 

Zudem kannst du anhand es festen Themas lernen, wie bestimmte Techniken funktionieren und ausprobieren, auch wenn du dir das Projekt nicht zugetraut oder vorgenommen hättest. Mit der Erfahrung wird es einfacher selber Bücher zu gestalten und die Techniken zu variieren.

 

Nach welchen Kriterien wählst du die Materialien aus? Gibt es Unterschiede in der Handhabung?

Solche, die für Anfänger nicht geeignet sind?

 

Ich lege Wert darauf, dass die Materialien Profiqualität haben und packe nichts in eine Box, was ich nicht selbst verwenden würde. Es gibt aber Materialien, die schwierig zu verarbeiten sind. Das sind zum Beispiel Leder und

Pergament, aber auch manche Papier, die zickig sind.

Ich binde das Buch vorher selber und versuche mich dabei in einen Anfänger hinein zu versetzen.

Wenn etwas nicht gut funktioniert, suche ich ein anderes Material heraus.

 

Als Dozentin gibst du auch Kurse. Welche Art von Menschen kommen in deinen Unterricht?

 

Hauptsächlich Frauen. Aber die Altersgruppe ist weit gefächert. Allen gemeinsam ist, die Vorliebe für Bücher und dass sie sich ihre eigenen Bücher binden wollen. Nicht jeder hat handwerkliche oder Bastel-Vorkenntnisse. Die sind aber auch nicht nötig. Interessant ist auch, dass ich quasi in jedem Kurs Lehrer hatte, die neue Formate für ihren

Unterricht suchen.

 

Kannst du mir erzählen, wie eine typische Lerneinheit bei dir aussieht?

 

Ich unterteile die Abläufe in kleine Schritte, die ich vormache, bevor die Teilnehmer sie nachmachen. Während die Teilnehmer arbeiten, gehe ich rum und helfe bei komplizierteren Handgriffen und beantworte Fragen.

Ich versuche immer auch zu vermitteln, warum manche Dinge so gemacht werden, wie ich sie vormache und möglichst viel Wissen auch nebenbei zu vermitteln.

 

Work in Progress: digitale Modeillustration
Work in Progress: digitale Modeillustration

Ich möchte noch einmal auf die Kontroverse „Technik“ eingehen. Mit Einführung der E-Books wurde ja

das Ende der gedruckten Medien prophezeit. Ich als Gestalterin für Printmittel, Kollegen in der Druckerei, usw. haben der Entwicklung natürlich skeptisch entgegen gesehen, doch auch, wenn die Verkaufszahlen von gedruckten Zeitschriften bzw. Zeitungen eher fallen und neue Magazine es schwer auf dem Markt haben, sind sie nicht wegzudenken.

Gibt es in deinen Augen Vorteile, die ein physisches Werk gegenüber eines digitalen besitzt?

 

In meiner Ausbildungszeit war die Digitalisierung ein riesen Thema. Dem klassischen Buch wurde der Untergang prophezeit und jeder, der noch eine Ausbildung in dem Bereich gemacht hat, wurde für verrückt erklärt.

Doch ich seh es ähnlich wie du: Print-Medien werden nicht aussterben.

 

Interessanterweise beobachte ich, dass das Buch in seiner physischen Form an Wert zu gewinnen scheint und die Aufmachungen umfangreicher und außergewöhnlicher werden. Das E-Book ist ein Arbeitsmittel und das gebundene Buch ein Genussmittel. Für die handwerkliche Buchbinderei ist das eine positive Entwicklung, da die Quantität einen

Schritt zurück tritt und die Menschen bereit sind für Qualität Zeit oder Geld aufzuwenden.

 

Zudem ist der Erholungswert eines gebundenen Buches meiner Meinung nach sehr viel höher. Die Berührung mit dem Papier und dem Buch gehören zu dem Genuss einer guten Geschichte, wie eine großartige Charaktere und eine spannender Plot.

 

Wie denkst du z.B. über die Digitalisierung von Klassenzimmern? Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es für alle Parteien praktisch ist, wenn man als Schüler keinen 70€ Atlas kaufen muss und der Lehrer die großen, alten Landkarten nicht mehr aufrollen muss. Hast du die Auswirkungen auch in deinem Beruf zu spüren bekommen?

 

Die 70€ für den Atlas waren nicht das Schlimmste; ihn mitzunehmen war eine Qual für den Rücken und meistens vollkommen überflüssig. In dem Sinne Daumen hoch für Digitalisierung.

 

Die Akademisierung des Unterrichts sehe ich hingegen kritischer. Unterricht, der die Kreativität und das Arbeiten mit den eigenen Händen fördert, kommt viel zu kurz und lässt den Schülern nur den Weg offen, an die Uni zu gehen, weil sie mögliche Alternativen nicht kennen.

 

Erzähl uns doch zum Abschluss noch, wie du dir deinen perfekten Tag vorstellst in fünf Jahren vorstellst? :)

 

In fünf Jahren beginne ich meinen Tag mit einem stillen Rundgang durch meinen Garten und atmen. Ich gehe dann in meine Werkstatt, eine umgebaute alte Scheune, und bereite das Material für den Kurs-Teilnehmer vor, der übers Wochenende kommen möchte, um sein persönliches Seelenbuch zu binden. Den Nachmittag verbringe ich auf dem Heuboden, der nun ein Büro ist, und schreibe an Geschichten oder Blogartikeln.

 

Zum Feierabend mache ich einen ausgedehnten Spaziergang und koche für mich und Freunde mit Zutaten aus dem Garten. Der Abend klingt mit guten Gesprächen und Met auf der Terrasse aus.


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